zum Inhalt springen

Sejny 2017 – Ein Grenzland als Quelle der Demokratie: Exkursion: Köln—Warschau—Sejny—Danzig—Köln 11-16.08.2016

Im Mittelpunkt der für August 2017 geplanten Studienreise steht das von der Stiftung „Grenzland“ jährlich zum Andenken an Czesław Miłosz veranstaltete Treffen von Intellek- tuellen und Kulturschaffenden „Pamiętanie Miłosza“ („Erinnerung an Miłosz“) in Sejny an der polnisch-weißrussischen Grenze. Das kurz nach der politischen Wende 1990 gegründete Kulturzentrum „Pogranicze“ (Grenzland) gilt als zivilgesellschaftliches Modellprojekt im postkommunistischen Europa, das mit dem Ziel der Völkerverständigung vielbeachtete kulturgeschichtliche Projekte durchführt. „Pogranicze“ ist ein Symbol für die Entwicklung der demokratischen Identitätsdebatte in Polen geworden, nachdem es im Jahr 2000 das umstrittene Buch "Nachbarn" von Jan Tomasz Gross über die Ermordung der Juden in Jedwabne von 1941 veröffentlicht hatte. Aus „Pogranicze“ werden die Studierenden also vor allem das Wissen über die Bedeutung der Aufarbeitung der Beziehungen zwischen Polen und Juden sowie generell den historischen und aktuellen Umgang mit Minderheiten in Demo- kratien mit nach Hause nehmen. Mit Sejny lernen die Studierenden einen der vielleicht wichtigsten transnationalen Orte der slavischen Kulturen der vergangenen zwei Jahrzehnte kennen. Während der Exkursion werden sie sich die Studierenden grundsätzlich mit der vom Avantgarde-Theater herkommenden und in der Stiftung „Grenzland“ erlebten Konzeption der „aktiven Kultur“ beschäftigen, die Kunst als einen im öffentlichen Raum stattfindenden und sich direkt an den gesellschaftspolitischen Veränderungen beteiligenden Prozess versteht. Neben Sejny besuchen wir das Museum der polnischen Juden POLIN in Warschau und das Europäische Zentrum der Solidarność in Danzig. Die Grundfragen der Rundreise drehen sich um den demokratischen Dialog, um dessen Rahmen, Bedingungen und Wortschatz sowie um die Rolle der Kultur in diesem Prozess. Voraussetzung für die Teilnahme sind das Erarbeiten eines Beitrag zum gemeinsamen Reader der Exkursion (ca. 10 Seiten) sowie ein Referat vor Ort (20-30 Minuten). Die Exkursion steht allen Studierenden der Philosophischen Fakultät, die über Polnischkenntnisse von mindestens B1 verfügen, offen und wird über die Fakultäts- website und mailinglists angekündigt.

Erste Station: Köln

In Köln bereiten die Studierenden noch vor der Reise einen Reader vor, der durch eine Website, die Bilder, Karten und Tonaufnahmen bereitstellt, ergänzt wird. Diese Mind-Map soll ihre Erwartungen und Fragen zur Studienreise beinhalten, die sie in einem kritischen Bericht nach der Beendigung des Projekts werden evaluieren können.

Zweite Station: Warschau

Noch vor der Ankunft in Sejny besichtigen die Studierenden unter Begleitung von Dr. Aleksandra Bilewicz das kürzlich eröffnete Museum der polnischen Juden POLIN in Warschau. Hier werden sie auch an einem vom Museum organisierten Antidiskriminierungs- training teilnehmen, bei dem sie über Fremd- und Selbstbilder, symbolische Gewalt, Entstehungsbedingungen von Stereotypen und Vorurteilen diskutieren werden. Sie besuchen das European Network Remembrance and Solidarity (enrs.eu) und den „Ośrodek Karta“ (karta.org.pl), ein prämiertes Oral History Archive, das bereits Praktikumspartner des CCCEE ist und von Studierenden für Abschlussarbeiten genutzt wird.

Dritte Station: Sejny 

Zur Vorbereitung auf das Treffen am 14. August werden die Studierenden zunächst das umfangreiche Dokumentationszentrum zur Multikulturalität Mittelosteuropas besuchen, das Bücher in verschiedenen Sprachen, Filme, Tondokumente, Fotos und alten Postkarten bereitsstellt. Hier werden die Studierenden in einem Workshop mit Agata Szkopinska von „Pogranicze“ zur Geschichte des polnischen Judentums bzw. mitteleuropäischer Roma recherchieren.

Im zweiten Schritt besichtigen die Studierenden unter der Leitung von Krzysztof Czyżewski, dem Gründer von „Pogranicze“, die Dauerausstellung „Szukanie ojczyzny: Świadectwa i proroctwa Czesława Miłosza” („Auf der Suche nach Heimat – Czesław Miłosz: Zeugnisse und Prophetie“). Anschließend informieren sie sich in einer interaktiven Vorlesung über die Bausteine und Praktiken des Grenzlandes (und seiner Bewohner, des „człowiek pogranicza“) – deren Aufgabe sich nicht auf Vergangenheitspflege beschränkt (d.h. Bewahrung und Präsentation des traditionell heterogeneren Grenzlandes – in der Grenzregion zu Litauen lebten bis zum Zweiten Weltkrieg Polen, Litauer, Juden und Deutschen), sondern die vor allem auf eine zukunftsorientierte kritische Aufarbeitung europäischer Geschichte ausgerichtet sind. Krzysztof Czyżewski wird den Studierenden verschiedene Projekte der Stiftung vorstellen: die ambitionierte Reihe „Meridian“, in der Essays, Romane und Gedichte renommierter europäischer Autoren publiziert werden; wissenschaftliche Kolloquien über die Geschichte Mitteleuropas und ihrer Kulturregionen, wie zum Beispiel der Bukowina; eine vor einem Jahrzehnt gegründete und über die Grenzen Polens bekannte Klezmer-Gruppe; die erfolgreiche Vierteljahresschrift „Krasnogruda. Nationen, Kulturen, kleine Heimaten Ostmitteleuropas“; einen Almanach über Sejny; Filmabende, Ausstellungen, Kurse zur Geschichte der Gemeinde, Theaterprojekte usf. Im dritten Schritt nehmen die Studierenden an einem Treffen von Intellektuellen teil. Hier werden sie das Ideal des Kulturdialogs – in dem man in der Tradition und Auseinandersetzung mit der Kulturgeschichte nach aktuellen Lösungen sucht – in einer authentischen Debatte anwenden.

Vierte Station: Danzig 

In Danzig besuchen die Studierenden einen weiteren Ort der Erinnerungskultur, nämlich das Europäische Zentrum der Solidarność. Unter Begleitung von Dr. Jacek Kołtan besichtigen sie die Dauerausstellung des Museums, das unter dem Motto „Gemeinsam erinnern“ nicht nur die Geschichte der Solidarność-Bewegung und der antikommunistischen Opposition in Polen und Europa zu pflegen versucht, sondern auch sich selbst als Ort des Dialogs über die heutige Welt sieht.

Fünfte Station: Köln

Im Anschluss an die Studienreise verfassen die Studierenden einen kritischen Bericht, der auf der Internetseite der „Pogranicze“ und des Slavischen Instituts der Universität zu Köln und von "Pogranicze" veröffentlicht wird. In dem Bericht werden sich die Studierenden vor allem an den Worten von Pierre Nora „Das Gedächtnis trennt, aber die Geschichte eint“ orientieren.

*